Orcs

Ausschnitt aus dem Ankunftstag in Elydion, geschrieben von Mike.

Mike und Chris stehen noch unter Schock. Eben waren sie noch in einem Buchladen … dann sind sie auf einer Waldlichtung aufgewacht. Wurden sie betäubt und entführt? Doch eines ist klar: Sie müssen bis zur Nacht den Weg zurück in die Zivilisation finden …

***

Nach einer Weile – es musste mindestens eine Stunde gewesen sein – hörten wir plötzlich seltsame Schreie und Rufe in der Ferne. Die Worte klangen fremd, bedrohlich, vor allem aber nicht unbedingt menschlich. Wir erstarrten.

Chris sah mich an, seine Augen weit aufgerissen. „Was zur Hölle war das?“, flüsterte er. Ich konnte die aufkommende Angst in seinem Blick sehen.

„Wir schleichen uns an und sehen nach“, schlug ich vor.

„Spinnst du?“, zischte Chris.

„Vielleicht finden wir Hilfe“, flüsterte ich. Denn ehrlich gesagt war die Neugierde jetzt größer als meine Angst.

Chris schüttelte verneinend den Kopf, und seine Lippen formten ein Nein.

„Du kannst ja hierbleiben“, sagte ich leise. „Ich gehe nur kurz schauen.“

Ich ignorierte seinen Gesichtsausdruck und schlich näher an die Quelle des Lärms heran. Chris machte eine entnervte Bewegung und folgte mir widerwillig, seine Schritte leise und angespannt.

Wir erreichten eine steil abfallende Böschung, von der aus wir einen guten Blick auf den darunterliegenden Waldweg hatten. Auf dem Bauch liegend spähten wir hinab – und was wir kommen sahen, ließ unsere Herzen einen Schlag aussetzen.

Eine kleine Gruppe menschenähnlicher Wesen bewegte sich über den Pfad, bei denen es sich aber eindeutig nicht um Menschen handelte. Ihre Körper waren klobig und von einer grünlichschwarzen, rauen Haut überzogen. Aus ihren Mäulern ragten Hauer, und sie kommunizierten miteinander in einer gutturalen Sprache. Und sie waren schwer bewaffnet. Ein fauliger Geruch stieg mir in die Nase. Sie sahen aus wie … die Orcs aus den Büchern.

Mein Verstand weigerte sich, das zu akzeptieren. Es musste sich um Schauspieler handeln, die einen Film drehten. Aber wo waren die Kameras? Und wie konnten die so … echt wirken? Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an, als ich realisierte, dass wir in ernster Gefahr waren.

Chris schien genauso erstarrt wie ich. Wir wagten es fast nicht, zu atmen. Alles in uns schrie danach, uns nicht zu bewegen, bloß nicht entdeckt zu werden. Doch dann geschah das Unvermeidliche.

Beim Versuch, mich noch tiefer zu ducken, brach unter mir ein trockener Ast.

Das Knacken war gar nicht so laut. Aber laut genug. Die Orcs drehten sich blitzschnell um und mehrere von ihnen stürmten auf uns zu. Wir schafften es kaum auf die Beine, da waren wir bereits umzingelt. Ich wollte meine Arme heben, da ahnte ich einen Schatten hinter mir. Bevor ich reagieren konnte, spürte ich einen stechenden Schmerz, als ob mein Schädel gespalten wurde. Blendendes Licht explodierte hinter meinen Augen, und dann kam die Dunkelheit.

Ich muss für eine ganze Weile bewusstlos gewesen sein, denn als ich aufwachte, fand ich mich eingepfercht in einem hölzernen Käfig wieder. Mein Schädel brummte vor Kopfweh, aber zumindest blutete er nicht. Mein ganzer Körper tat weh und war an verschiedenen Stellen aufgeschürft, als hätte man mich über den Boden geschleift.

Panik ergriff mich, als ich meiner Umgebung gewahr wurde. Um mich herum sah ich runde Lederzelte und Dutzende dieser orcartigen Gestalten, die ihren alltäglichen Angelegenheiten nachzugehen schienen. Es war ein primitives Dorf, umgeben von einem Verteidigungswall aus aufgeschütteter Erde.

Wo ist Chris?, durchzuckte mich ein panischer Gedanke.

Ich schaute wild nach rechts und links und da … Mein Herz setzte aus, als ich ihn entdeckte – reglos in einem Käfig nur wenige Meter entfernt. Er sah aus wie eine leblose Puppe, trug dunkle Blutspuren im Gesicht.

Bei diesem Anblick drehte ich durch. Ich rüttelte und schüttelte am Käfig, als könne meine pure Verzweiflung die Stäbe auseinanderreißen. Ein Krieger tauchte neben mir auf und schlug mit der flachen Seite seiner Axt auf den Käfig, sodass ich zusammenzuckte. Er brüllte etwas und schaute mich dann genauer an. Sein warziges Gesicht mit der grünschwarzen Haut kam mir ganz nahe und der von ihm ausgehende Gestank raubte mir fast die Sinne – ja, dies waren definitiv Orcs. Sein hämisches Grinsen und das Funkeln in den dunklen, fast schwarzen Augen ließen keinen Zweifel daran, dass er sich darauf freute, sich näher mit mir zu befassen. Ich kroch zitternd auf die entgegengesetzte Seite des Käfigs.

Da trottete er fort. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, während ich das fremde Dorf beobachtete. Die Orcs beachteten uns kaum. Einige von ihnen kochten etwas in Töpfen über offenen Feuern, andere flickten grob genähte Lederkleidung oder zogen mit offensichtlich geübten Händen die Häute von Tieren. Es war eine Szenerie, die sowohl banal als auch zutiefst verstörend war.

Ich hätte laut heulen mögen. Wo waren wir hier bloß hineingeraten? Waren das irgendwelche Irren eines bösen Kults, die sich als Orcs verkleideten, um ab und zu Menschen zu entführen und umzubringen?

Ein kleinerer Orc – ein Kind? – löste sich von der Menge und kam zu mir. Es schaute mich neugierig an, vor allem meine Kleider.

Ich betrachtete den Kleinen ganz genau, konnte aber keine Maske erkennen. Die Augen waren wirklich schwarz und wirkten vollkommen real. Diese Wesen waren echt!

„Du musst uns da rausholen“, flüsterte ich verzweifelt. „Das ist Wahnsinn.“

Der Krieger von vorhin hatte das Kind gesehen und brüllte rüber zusammen mit einer Handbewegung, dass es verschwinden solle. Doch das Kind antwortete frech und zeigte auf meine Kleider, was den Erwachsenen nur wütender machte. Mit entschlossenen Schritten eilte er heran, doch das Kind war flink und entwischte ihm. Zufrieden grunzte der Krieger, bevor er sich wieder entfernte. Ich glaubte sogar, zu sehen, dass sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen, als denke er frecher Bengel.

Ich versuchte, mich zu fassen, was zugegebenermaßen nicht einfach war. Doch ich musste beginnen, wieder klar zu denken.

Der Käfig war solide gebaut, wies keine offensichtlichen Schwachstellen auf. Unsere Häscher schienen sich ihrer Sache sicher, denn ich war nicht einmal gefesselt worden. So konnte ich meine Hosentaschen durchsuchen, doch leider fand ich nichts Nützliches. Nur meinen Gürtel mit der Eisenschnalle hätte jemand mit mehr Fantasie vielleicht sinnvoll einsetzen können. Doch was sollte ich schon ausrichten gegen all die bewaffneten Krieger hier?

Zu meiner Erleichterung regte sich Chris in diesem Moment in seinem Käfig. Auch er hielt sich den Kopf und machte im Moment vermutlich all meine Emotionen durch. Als er mich erblickte, gab ich ihm ein Zeichen, ruhig zu bleiben.

Kaum hatte ich das getan, änderte sich die Stimmung im Lager. Die Orcs standen alle auf und hielten mit ihren Aktivitäten inne. Da erblickte ich das Kind von vorhin erneut. Es stützte jetzt einen gebrechlich wirkenden Orc, der unsicher und gebückt vorwärtsschlurfte, gestützt auf einen verzierten Stab, an dem Knochen hingen. Sie verursachten ein unheilvolles Klimpern.

Das Kind schwatzte auf den Orc ein und zeigte auf mich. Als die Gestalt sich dem Käfig bis auf wenige Meter genähert hatte, sah ich, dass es sich um einen weiblichen Orc handelte; eine uralt aussehende Orc-Frau. Die Greisin betrachtete mich intensiv aus glasigen Augen, die dennoch wirkten, als könnten sie mein Innerstes ergründen.

„Wer du? Woher du?“, krächzte sie mit einem so starken Akzent, dass ich zuerst gar nicht verstand, dass sie meine Sprache benutzte.

„Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Wir …“

„Wer du?“, unterbrach sie mich ungeduldig, mehr Befehl als Frage.

„M-Mike“, antwortete ich unsicher.

„Woher? Welche Stadt?“

Als ich dies wahrheitsgetreu beantwortete, konnte ich sehen, dass sie noch nie von meiner Heimatstadt gehört hatte. Das beängstigte mich mehr als alles andere.

Sie drehte sich um zu ihrer Gemeinschaft und gab einen Befehl. Ein mächtiger Orc-Krieger in auffälliger Rüstung – ich vermutete, der Anführer – protestierte, doch sie redete stur weiter auf ihn ein. Als er nicht sofort nachgab, änderte sich der Tonfall ihrer Stimme, und es war, als spreche sie ein Wort der Macht. Der Häuptling gab widerwillig nach und man holte uns aus den Käfigen.

„Wir sehen werden“, sagte sie, schlurfte in Richtung eines kleinen Pfads aus dem Dorf hinaus und bedeutete uns, ihr zu folgen. Schwer bewaffnete Orcs eskortierten uns, gefolgt von einem Strom aus Dorfbewohnern. Was auch immer auf uns wartete – alle wollten zugegen sein. Dabei herrschte eine gespenstische Ruhe, die nur gelegentlich durch angespanntes Tuscheln unterbrochen wurde.

Ich wollte Chris etwas Aufmunterndes sagen, doch mir fiel nichts ein, und auch er schwieg bedrückt. Ein paar Krähen flogen dicht über uns in Kreisen. Ihr penetrantes Krächzen verlor sich im tiefen Wald.

Schließlich erreichten wir eine kleine, leicht erhöhte Lichtung mit einem Steinkreis darin. In dessen Mitte lag ein massiver Steinblock, flach bis auf eine natürliche Mulde im Zentrum, der mich an einen Altar erinnerte.

Wir wurden auf die eine Seite des Steins gezwungen und grob in die Knie gedrückt, als die Orc-Greisin sich auf der anderen Seite positionierte.

Sie begann ein Ritual in einem bizarren Sprechgesang, während die restlichen Dorfbewohner in komplettes Schweigen verfielen. Die Alte war offenbar eine Art Schamanin und der Stein tatsächlich ein Altar. Ihr Gesang war rhythmisch und wiederholte sich mit leichten Variationen, als riefe sie verschiedene Namen auf. Dabei schien sie in Trance zu verfallen. Betete sie ihre Götter an?

Dann schwieg sie plötzlich und ließ ein Dutzend kleine Knochen in die Mulde des Altars fallen. Zu meinem Erstaunen ergab sich eine eindeutige Form: zwei Bögen, deren eines Ende das des anderen berührte. Wie die Silhouette eines Vogels.

Die Greisin starrte die Formation an, sekundenlang, wie unter Schock. Ihre Augen weiteten sich.

Ein Flüstern entwich ihren Lippen, kaum mehr als ein Hauch: „Charim …“.


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